UMDENKEN

 

 

 

„Ein Kopfstand fördert die Durchblutung im Gehirn“, hieß es früher. Ergo müsse diese Haltung gut für den Denkprozess sein. Ganz so einfach ist es leider nicht, dazu sind die Systeme, die unser Gehirn mit Nahrung versorgen, viel zu komplex. Aber einen Effekt hat so ein Kopfstand natürlich: Er zwingt uns zu einem Perspektivenwechsel. Plötzlich sehen die Dinge ganz anders aus.

So ein Kopf- oder Handstand ist übrigens gar nicht so einfach, aber das liegt meistens nicht, wie viele glauben, an fehlender Kraft in den Armen. Unsere Arme tragen nur einen kleinen Teil zum Handstand bei. Stattdessen erfordert die Übung vor allem Körperspannung, Gleichgewicht und Balance. Die Dinge auf den Kopf zu stellen ist etwas, das die volle Aufmerksamkeit und den kompletten Körper beansprucht. Nichts, was man mal eben so nebenbei erledigt.

Umdenken. Der Begriff taucht vor allem im Zusammenhang mit Umweltfragen und Zukunftsproblemen immer wieder auf. „Es geht so nicht mehr weiter, wir müssen umdenken“, lauten die Forderungen. Was aber heißt das eigentlich, umdenken? Sind unsere Gedanken nicht ohnehin frei und wandern und wabern ständig in alle möglichen Richtungen? Ist es nicht das, was den Menschen auszeichnet: Phantasie, Träume, Zukunftsvisionen?

Tatsächlich neigen wir als Menschen dazu, gar nicht so vielseitig zu denken, wie wir glauben: Vieles von dem, was wir erfinden, basiert auf Erfahrungen und Prägungen. Wir sind in unserem Denken ziemlich fest verwurzelt. Das kann auch ein Vorteil sein, denn oft ist unsere Erfahrung ein guter Wegweiser. Wer aber wirklich umdenken will, hört häufig den Satz: „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Und ist das nicht eigentlich eine sehr verrückte Aussage, da unser Gehirn doch imstande ist, die verrücktesten Dinge zu erträumen?

In der Geschichte der Menschheit gab es immer wieder Momente, in denen ganz und gar daran gezweifelt wurde, dass etwas auch völlig anders geht. „Wie bitte soll ein Schiff gegen den Wind fahren?“, soll Napoleon gefragt haben. Die Liste solcher überholten Prognosen ist endlos, lässt uns heute schmunzeln, aber dazu gibt es eigentlich keinen Grund. Bei den meisten heutigen Zukunftsvisionen sind wir genauso skeptisch wie die Menschen, die das Telefon, den Fernseher oder das Internet als sinnlose Spielereien verworfen haben.

„Tunnelblick“ nennt man das auch. Ein in mehrfacher Hinsicht interessantes Bild: Man schaut scheinbar fern, sieht vielleicht sogar das Licht am Ende des Tunnels – aber eigentlich schaut man nur in eine einzige, sehr begrenzte Richtung. Ein anderes Beispiel sind die Bilder, in denen optische Täuschungen verborgen sind. Sicherlich haben Sie schon einmal erlebt, wie schwierig es sein kann, das andere Motiv zu sehen. Aber wer es endlich entdeckt hat, wer gelernt hat umzudenken, bei dem brennt es sich förmlich im Kopf fest. Plötzlich hat man Schwierigkeiten, das ursprüngliche Bild wahrzunehmen. Umdenken bedeutet auch, gedanklich flexibel zu bleiben. Das ist sowieso immer gut.

Auch beim Ei des Kolumbus ging es bekanntlich darum, etwas auf den Kopf zu stellen. Die Legende besagt, dass Kolumbus die Zweifler und Nörgler, die im Nachhinein erklärten, wie einfach seine Expedition gewesen sei, aufforderte, ein Ei senkrecht auf den Tisch zu stellen. Er tat dies schließlich, indem er die untere Seite leicht eindrückte. Die Botschaft: Das Wichtigste an bahnbrechenden Neuerungen und Erfindungen ist zunächst einmal die zündende Idee – und der Glaube daran. Die Umsetzung ist im Vergleich dazu einfach. Heißt: Wer umdenkt, hat vielleicht schon gewonnen. Umdenken ist etwas, zu dem man sich ein wenig zwingen muss. Umdenken ist unbequem. Und: Man muss es immer wieder tun.

Einmal umdenken reicht nicht, denn prompt setzt die Gewöhnung wieder ein. Was schon 1896 der Psychologe George Stratton mit seiner Umkehrbrille bewies, einer Brille, die Auge und Gehirn austrickst und uns die Welt auf dem Kopf präsentiert. Ausgehend von dem Wissen, dass die Bilder auch auf unserer Netzhaut über Kopf stehen und erst von unserem Gehirn umgedreht werden. Zahlreiche weitere Wissenschaftler haben seitdem den Test gemacht und festgestellt: Nach etwa sechs Tagen hat jeder Mensch trotz Umkehrbrille die Bilder in seinem Kopf wieder richtig herumgedreht. Wir haben die erstaunliche Eigenschaft, uns jederzeit auch auf die kuriosesten Veränderungen einzustellen und es uns darin bequem zu machen. Wer also tatsächlich die Dinge auf den Kopf stellen will, muss mehr tun, als sich nur auf den Kopf zu stellen. Wenn wir die Herausforderungen der Zukunft angehen wollen, müssen wir uns selbst herausfordern. Immer und immer wieder. Unser aktuelles Heft zeigt einige Wege dazu auf. 

 

 

 

 

 

 

Das Wichtigste an bahnbrechenden Neuerungen und Erfindungen ist zunächst einmal die zündende Idee – und der Glaube daran.

Saubermänner

 

Den Südpol erreichen, ohne einen CO-Fußabdruck zu hinterlassen, das gelang zuletzt den Briten Rob und Barney Swan. Vater und Sohn setzten auf eine Spezialausrüstung. So nutzten sie Solarzellen auf ihren Schlitten, um Wärme sowie Energie für die Nahrungszubereitung, das Wäschetrocknen und das Schmelzen von Schnee zu erzeugen. Daneben verwendeten sie für ihre South Pole Energy Challenge (SPEC) einen aus Restmüll entwickelten Biokraftstoff. Nach 57 Tagen erreichten die von zwei Begleitern unterstützten Briten den Südpol. Sie bewiesen, dass es selbst im ewigen Eis möglich ist, mit erneuerbaren Energiequellen zu bestehen. Den CO-Ausstoß, den der Materialtransport in die Antarktis verursachte, machen sie wett, indem sie etwa Aufforstungsprojekte fördern.

 

Naturkraftwerk

 

 

 

Während sich viele Länder bemühen, ihre CO-Bilanz zu verbessern, herrschen in Island nahezu paradiesische Verhältnisse. Die Insel im Nordatlantik profitiert von Geothermie und Hydroenergie im Überfluss. Drei Viertel seiner grünen Energie bezieht das Land aus Erdwärme, ein Viertel aus Wasserkraft. Mit diesen beiden Energiequellen konnte Island 2015 fast 85 Prozent seines Bruttoinlandsenergieverbrauchs decken. Werte, von denen die EU-Staaten, die USA und China nur träumen können. Derweil nehmen die Isländer überkritischen Wasserdampf ins Visier, der kilometertief im Gestein über Magmafeldern zu finden ist. Dieser könnte mit seiner speziellen Konsistenz, seiner Hitze und seinem enormen Druck zehnmal ertragreicher sein als die normale Geothermie.

ERfolgsfaktor

 

 

 

Im Juni beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland.Titelverteidiger ist Deutschland, das 2014 mit dem Halbfinal-Erfolg gegen Gastgeber Brasilien aufhorchen ließ. Doch nicht alle Auftritte auf dem Weg zum Titel gerieten glanzvoll.Dass sie dennoch erfolgreich verliefen, war nicht zuletzteinem Sinneswandel zu verdanken. Bundestrainer Joachim Löw wollte jahrelang Tore spielerisch herauskombinieren. In der WM-Vorbereitung ließ er sich überzeugen, auch auf Standards zu setzen. Mit Erfolg: Das Torfestival gegen Brasilien eröffnete Thomas Müller nach einem Eckball. Gegen Portugal fiel das vorentscheidende 2:0 nach einer Ecke, ebenso der 2:2-Endstand gegen Ghana. Der hier abgebildete Siegtreffer im Viertelfinale gegen Frankreich resultierte aus einem Freistoß.

 

 

 

 

„Müll ist eine Rohstoffmine“

 

 

Ein besonderes Schlüsselerlebnis vor über 40 Jahren brachte Terry Tamminen dazu, sich dem Umwelt- und Klimaschutz zu verschreiben. Der US-Amerikaner war die treibende Kraft hinter Arnold Schwarzeneggers Umweltagenda und ist CEO der Leonardo-DiCaprio-Stiftung.
Im Interview spricht er über den Wasserstoffantrieb, Chinas Rolle im Umweltschutz und warum sich eine energieeffiziente Produktion lohnt.

 

 

Herr Tamminen, der Guardian setzte Sie in seiner Liste „Top 50 People who can save the planet“ auf Platz 1. Wie fühlt man sich als Weltretter?

Es war ein schönes Gefühl, auf der Liste zu stehen. Aber genau genommen benötigt die Erde keine Rettung. Es geht ja vielmehr um das Leben auf der Erde. 99 Prozent der Tiere und Pflanzen waren bereits vor der industriellen Revolution auf natürliche Art und Weise ausgestorben. Seither hat sich durch den Menschen das Aussterben allerdings extrem beschleunigt, und zwar um das Tausendfache. Wenn wir unser Verhalten nicht ändern, dann wird es nicht mehr lange dauern, bis wir an der Reihe sind.

Was müssen wir ändern?

Wir müssen langfristig denken und planen. Sobald es um den Umweltschutz geht, spricht das zumeist nur unser Kurzzeitgedächtnis an.

Sie sind bekannt dafür, nachhaltig zu planen. Gab es ein Aha-Erlebnis, das Sie dazu bewog, sich dem Umwelt- und Klimaschutz zu verschreiben?

Es gab zwei Schlüsselmomente. Ich bin 1952 geboren und als ich zwölf Jahre alt war, begann ich vor Los Angeles mit dem Sporttauchen. Der Ozean mit seinen Tieren und Pflanzen hat mich fasziniert und begeistert. Danach zogen wir nach Australien, und als ich zehn Jahre später zurückkehrte, hatte die Umweltverschmutzung die Flora und Fauna meines Tauchreviers zerstört. Das hat mich schockiert und mir die Augen geöffnet, wie schnell sich Umweltverschmutzung auswirkt. Der zweite war, als ich auf Arnold Schwarzenegger traf. Ich lernte ihn als aufrichtigen Umweltschützer kennen. Als er dann mit Kalifornien die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt regierte, ergriff er die Gelegenheit, etwas für den Umwelt- und Klimaschutz zu tun.

 

TerrY Tamminen

Der US-Amerikaner (Jahrgang 1952) wuchs zeitweise in Aus- tralien auf, wo seine Familie eine Aufzuchtstation für tropische Fische betrieb. In seinem Berufsleben widmete er sich gemeinnützigen Themen, insbesondere dem Umweltschutz. Arnold Schwarzenegger berief ihn als Gouverneur von Kalifornien zu seinem Umweltberater. 2010 war Tamminen Mitbegründer der R20-Initiative, die hilft, den Klimaschutz auf regionaler und lokaler Ebene zu fördern. Seit 2016 ist er CEO der Leonardo-DiCaprio-Stiftung.

Er berief Sie während seiner Zeit als Gouverneur zum Berater in Umweltfragen. Was waren die Stellhebel, an denen Sie ansetzten?

Wir hatten aufgrund unserer Gesetz­gebung die Chance, wie ein eigenstän­diger Staat zu agieren. Wir haben zahlreiche Gesetze erlassen, allen voran den Global Warming Solutions Act. Damit konnten wir ein umfangreiches Programm aufsetzen, das es uns erlaubt hat, die Reduzierung der Treibhausgase entschlossen anzugehen. Mit der Million Solar Roofs-Initiative haben wir die Installation von Solarzellen gefördert. Zudem haben wir ein Netz von Wasserstofftankstellen geschaffen, um die Elektro­mobilität zu fördern. Kalifornien wurde zu einem Vorreiter in Sachen Umweltschutz.

Wie hat sich der Umweltschutz seither in Kalifornien entwickelt? Gibt es einen nachhaltigen Prozess?

Definitiv. Die Gesetze und Initiativen bestehen bis heute, und der amtierende Gouverneur Jerry Brown treibt das Thema Energieeffizienz weiter voran. Er hat einige unserer Aspekte beschleunigt und sogar noch erweitert. Er erläutert seine Politik auch im Ausland und wirbt dort dafür, ebenfalls diesen Weg einzuschlagen und nicht nachzulassen. Das ist sehr gut.

Inzwischen sind Sie CEO der Leonardo diCaprio Foundation, die sich unter anderem stark für Umweltbelange einsetzt. Was zeichnet diCaprio und Arnold Schwarzenegger aus?

Leonardo ist ein glühender Verfechter des Klima- und Umweltschutzes. Er setzt sich stark mit dem Thema auseinander und bereist die ganze Welt, um vor Ort unmittelbare Eindrücke zu sammeln. Er und Arnold wissen, wovon sie reden. Arnold hat seine Position als Gouverneur genutzt, um Umweltthemen voranzubringen. Er hat damit viele erst dafür sensibilisiert und tut dies wie Leonardo bis heute.

 

Leonardo dicaprio foundation

Die Stiftung wurde 1998 von Schauspieler Leonardo DiCaprio ins Leben gerufen. Sie unterstützt durch Kooperationen innovative Projekte auf der ganzen Welt, etwa zum Schutz gefährdeter Wildtiere und zur Wiederherstellung des Gleichgewichts bedrohter Ökosysteme. Zudem fördert sie die besten Lösungen zur Bewältigung der Klimakrise und strebt dabei einen vollständigen Übergang zu erneuerbaren Energien an.

Sie stärken mit der R20-Initiative regionale Projekte zum Umweltschutz. Ist es vielversprechender, die Lösung eines globalen Problems im Kleinen anzugehen, als auf nationale oder internationale Agenden zu setzen?

Beide Ansätze sind wichtig. Unsere Politik in Kalifornien basierte auf dem Kyotoprotokoll von 1997 mit seinen klimaschutzrechtlichen Zielsetzungen. Wenn es diese internationale Agenda nicht gegeben hätte, hätten wir unsere Politik niemals so entschlossen durchführen können. Nur so konnten wir zu einem Treiber werden, und das sind wir bis heute, trotz der Politik der aktuellen US-Administration. Doch auch deren Handeln hat positive Effekte. Denn so wurden viele Amerikaner auf das Pariser Abkommen aufmerksam. Viele haben gemerkt, dass beim Umweltschutz noch viel zu tun ist und haben sich mobilisieren lassen. Auch Unternehmen merken, dass sie vom Umweltschutz profitieren können.

Inwiefern?

Sie erkennen, dass sie dank energieeffizienter Produktion Kosten sparen können. Zudem lohnt es sich für Firmen aufgrund des Emissionshandels weg von Kohle und Öl hin zu nachhaltigen Energien zu wechseln. Ich bin deshalb überzeugt, dass das Messen der CO-Emissionen positive Möglichkeiten eröffnet. Vom Emissionshandel profitieren umweltbewusste Unternehmen. Und die, die noch nicht so weit sind, tragen durch den Handel ihren Teil zum Umweltschutz bei und lassen sich dazu bewegen, in ihn zu investieren.

 

Benötigt der Mensch die Erkenntnis, dass sich mit Umweltschutz Geld sparen oder verdienen lässt, um daran mitzuwirken?

Es ist nicht der einzige Beweggrund, aber es isteiner, der jeden anspricht. In den USA könnten wir allerdings noch viel weiter sein, inklusive all der positiven Nebeneffekte. Würden wir etwa die 26 Millionen Straßenlaternen, die noch auf alter Technologie basieren, durch energiesparende LED-Lampen ersetzen, dann würden sich diese Investitionen schon innerhalb von fünf Jahren amortisiert haben. Zudem wäre es eine Art Konjunkturprogramm, denn es brächte Arbeitsplätze.

Welche Innovationen haben für Sie das Poten­zial, den Klimaschutz entscheidend nach vorne zu bringen?

Zuallererst die Wasserstofftechnologie (Hydrogen Fuel Cells). Wenn Wasserstoff durch Elektrolyse aus Wind- oder Sonnenenergie gewonnen wird, dann ist er eine völlig emissionsfreie Ressource. Daneben lässt er sich gut speichern und steht bei Bedarf wieder als Energielieferant zur Verfügung. Viele Automobilhersteller bieten Brennstoffzellenmodelle an und denken weiter in diese Richtung. Daneben halte ich Smart Grid für eine tolle Errungenschaft. Sie können sich am anderen Ende der Welt aufhalten und dennoch über Ihr Smartphone die Wärme in Ihrem Haus regulieren. So lässt sich der Energieverbrauch in den eigenen vier Wänden bequem kontrollieren, und man spart Geld.

China setzt inzwischen starke Akzente in Richtung Umwelt- und Klima­schutz. Ist China für Sie ein neuer Hoffnungsträger?

So neu ist China als Hoffnungsträger gar nicht. Vielleicht erkennen wir aber erst jetzt eine schon länger andauernde Entwicklung. China hat inzwischen die USA bei der Windenergie überflügelt. China ist schon lange der größte Hersteller von Solarzellen, wovon die USA in den letzten Jahren als Abnehmer günstiger Angebote profitiert haben. Zudem ist China bei seinen neuen Kohlekraftwerken wesentlich sauberer und damit fortschrittlicher als die USA. Beim Emissionshandel setzen die Chinesen auf das gleiche System wie Kalifornien. China geht also schon seit Längerem mit gutem Beispiel voran.

China propagiert die Elektromobilität. Ist E-Mobilität eine der zentralen Antworten, um CO2-Emis­sionen nennenswert und effizient zu reduzieren?

Absolut. Ölprodukte sind nicht nur Umweltverschmutzer, für Öl werden auch immer tiefere und riskantere Bohrungen vorgenommen. Zudem muss das Öl enorme Strecken zurücklegen, bis es zu den Zielmärkten gelangt. Demgegenüber ist Elektromobilität eine fantastische Alternative. Benzin verpufft nur und ist dann weg. Dahingegen punktet der Elektromotor beständig durch Innovationen und verbesserte Recyclingmethoden. Selbst die für ihn benötigten seltenen Erden werden mittlerweile deutlich weniger verbaut als noch vor ein paar Jahren.

 

Sie fahren selbst ein mit Wasserstoff betriebenes Auto. Was ist für Sie der Vorteil einer Brennstoff­zelle gegenüber einem batterie­betriebenen Auto?

Ich bin ein großer Fan des Wasserstoffantriebs. Er mag keinen guten Ruf haben, weil viele denken, der Wasserstoff werde in der Brennstoffzelle verbrannt, aber das ist natürlich falsch, denn er wird in Elektrizität umgewandelt. Der Vorteil von Wasserstoffautos ist, dass sie den heutigen Gewohnheiten der Verbraucher sehr nahekommen. Du betankst dein Auto wie beim Verbrennungsmotor, und fünf bis zehn Minuten später bist du schon wieder unterwegs. Das macht ihn attraktiv.

Ein massives Problem vor allem der west­lichen Gesellschaften sind die enormen Müllmengen. Ihre Vision lautet, aus Müll­deponien Rohstoffminen zu machen. Wie soll das funktionieren?

Dieses Thema begeistert mich wirklich sehr. Ich bin überzeugt, dass wir in fünf bis zehn Jahren Rohstoffe aus unseren Mülldeponien fördern werden. Es ist völlig unverständlich, wie manche Länder bis heute mit Müll umgehen. In ihm liegen so viele Chancen vor der eigenen Haustüre. Es ist wirklich verrückt, dass wir Gegenstände nur kurz nutzen, sie dann wegschmeißen, nur um die darin enthaltenen Rohstoffe wieder mühsam von anderswoher zu besorgen. Rohstoffe aus Mülldeponien wiederzugewinnen bietet enormes Einsparpotenzial und schafft Arbeitsplätze vor Ort. Das müssen die Länder, Regionen und Kommunen verstehen. Müll sollte nicht als Belastung empfunden werden, sondern als Rohstoffmine.

 

Erleichtert die zunehmende Digi­talisierung und Automatisierung von Industrie und Gesellschaft Ihr KlimaschutzAnliegen?

Ja. Ich glaube, dass in beiden eine Lösung des Problems liegen kann. Sie machen Dinge effizienter. Paketdienste in den USA nutzen sie, um ihre Fahrer bestmöglich zu navigieren. So sparen die Unternehmen Zeit, der Kunde erhält seine Ware schneller, und das Ganze senkt den Spritverbrauch. Walmart hat sich so gut vernetzt, dass sie es bestmöglich vermeiden, leere Lkws auf die Straße zu schicken. Und Kalifornien hat seine Mülleimer mit Sensoren ausgestattet, die der Müllabfuhr signalisieren, welche zu leeren sind. Die Effizienz ist nicht von der Hand zu weisen.

Wenn wir einen Blick ins Jahr 2050 wagen: Wie werden sich Klimaschutz, Bevölkerungswachstum und Wirtschaftswachstum zu­einander verhalten?

Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann werden wir im Jahr 2050 nicht in der Lage sein, zehn Milliarden Menschen zu ernähren. Durch den Klimawandel werden Krankheiten und Wetterkapriolen immer gravierender. In den USA können wir den Opfern von Unwettern gut helfen, in Ländern wie Bangladesch nicht. Bei solchen Aussichten muss jedem klar sein, dass die Menschheit nichts zu verschwenden hat. Es ist unglaublich, wie viele Nahrungsmittel wir produzieren und dann wieder wegwerfen. Wir müssen unsere Verbrauchsgewohnheiten ändern und lernen, unseren Müll zu reduzieren. Daneben muss die Landwirtschaft effizienter werden, und wir müssen uns womöglich damit auseinandersetzen, dass Menschen in Dürregebieten nicht mehr länger überleben können.

 

 

Es ist also jetzt an der Zeit, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Absolut. Für mich ist es wichtig, dass die Menschen den Ernst der Lage erkennen. Wir kennen den Klima­wandel schon seit vielen Jahren. Wir haben vielleicht noch drei bis fünf Jahre, um effektiv reagieren zu können. Jedem muss bewusst sein, dass er etwas an seiner Einstellung ändern muss. Das betrifft auch Regierungen und Unternehmen. Sucht nicht nach neuen Rohstoffquellen. Durchforstet eure Mülldeponien. Kümmert euch um euren ökologischen Fußabdruck. Seht zu, dass ihr das CO aus euren Produkten kriegt. Wie das geht, habe ich in meinem Buch Cracking the Carbon Code beschrie­ben. Dieses für mich unerlässliche Umdenken wird sich in zweierlei Hinsicht lohnen: finanziell und ökologisch.

 

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